Leben mit Büchern

Schlagwort: Roman (Seite 2 von 4)

„Unsichtbare Tinte“

Verwischte Fenster zur Erinnerung

Jean Eyben erinnert sich.
An seinen ersten Auftrag, den er vor Jahrzehnten in der Agentur Hutte erhalten hatte.
An seine Nachforschungen im Pariser 15. Arrondissement über die verschwundene Noëlle Lefebvre.
Warum hat er das kurze Dossier über diesen Fall „zur Erinnerung“ in seine Ledertasche gesteckt, nachdem er die Agentur wenige Monate später schon wieder verließ?
Er macht sich noch einmal auf die Suche nach Noëlle Lefebvre und seinen Erinnerungen.

Ich frage mich: Braucht es wirklich eine Antwort? Ich fürchte, hat man einmal alle Antworten gefunden, dann wird das Leben hinter einem zuschnappen wie eine Falle, mit dem Schlüsselgeklirr von Gefängniszellen. Wäre es nicht ratsamer, man ließe Brachflächen um sich herum, in die man entwischen kann?“

Doch Antworten ergeben sich, bleiben sie vielleicht auch unausgesprochen und unscharf wie das Foto auf dem Buchcover.

Für das Lesen dieses — an Seiten schmalen — Romans sollte man sich Zeit nehmen und Ruhe haben, sollte für sich sein, bei sich sein, „Störgeräusche“ ausblenden, wie es auch Jean Eyben auf der Reise zu seinen Erinnerungen versucht. Dann kann man etwas Großes finden.

Satz für Satz wunderbar formuliert, erzählt der Nobelpreisträger Patrick Modiano in Unsichtbare Tinte eine rätselhaft schöne Geschichte über das Vergessen und Erinnern, über die subjektive Wahrnehmung von Begegnungen und Orten im Laufe des Lebens.

Patrick Modiano: Unsichtbare Tinte, aus dem Französischen von Elisabeth Edl, Carl Hanser Verlag 2021,
ISBN der gebundenen Ausgabe
978-3446-26918-7

Der neue Staat oder eine unendliche Geschichte

Im Mai 2021 flogen wieder Raketen über Israel und Palästina. Seit Jahrzehnten leiden unzählige Araber und Juden, die oftmals friedlich miteinander leben oder arbeiten, unter den Angriffen der Extremisten beider Seiten.
Was dieser Dauerkonflikt sowie Flucht und Vertreibung für die Menschen bedeuten und wie Geschichte in Familien vererbt wird, zeigt Claire Hajaj in ihrem zutiefst emotional erzählten Roman Ismaels Orangen.

Palästina 1948. Das Leben ist mindestens kompliziert geworden. Es gab eine „Zeit als sie noch Freunde hatten sein dürfen.“  Der siebenjährige Salim, Sohn eines palästinensischen Orangenzüchters, Masen, dessen Vater einer der obersten Richter von Jaffa ist und Elia, arabischer Jude, dessen Mutter „mit den weißen Juden nach Palästina gekommen“ war.
Jetzt ist Krieg, es wird immer gefährlicher und die meisten Araber verlassen Jaffa. Auch Salims Familie flieht. Das Haus mit der Orangenplantage und den für ihn zu seiner Geburt gepflanzten Baum müssen sie zurücklassen.

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„Der ehemalige Sohn“ — Realität zwischen Absurdität, Tristesse und Tragik

Ist es tatsächlich wieder so still geworden in Minsk, wie es die Abendnachrichten erscheinen lassen? Ist diese Stadt tatsächlich wieder ins Koma geschlagen und getreten worden wie Der ehemalige Sohn in Sasha Filipenkos gleichnamigen Roman?

Filipenko erzählt von Franzisk, einem Fußball liebenden Cellospieler auf dem Musik-Lyzeum in Minsk, der bei einer Massenpanik im Vorfeld eines Rockkonzerts in einer U-Bahn-Unterführung zwar knapp mit dem Leben davonkommt, danach jedoch viele Jahre im Koma liegt. Nachdem der ihn behandelnde Arzt diesen Zustand nicht Leben nennen will und ihn als bloßes „Gemüse“ bezeichnet, ja, ihn eigentlich für tot erklärt, wendet sich sogar die Mutter ab. Allein seine Großmutter versucht alles, damit ihr geliebter Enkelsohn aufwacht.

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„Hoffnung auf Zukunft“

Zwischen dem Erscheinen der ersten beiden Bände der autobiografisch gefärbten „Hilla-Palm-Saga“, Das verborgene Wort (2001) und Aufbruch (2009), lagen lange acht Jahre. Auf den dritten Teil, Spiel der Zeit, musste sich die Leserschaft dann noch bis 2014 gedulden. Es sind jeweils sehr umfangreiche Romane, in denen die Autorin Ulla Hahn den Lebensweg der Hilla Palm, einem „Kenk vun nem Prolete“ aus einem niederrheinischen Dorf — und ausgestattet mit einer großen Liebe zu den Wörtern — an die höhere Schule und zur Universität in Köln erzählt.

Werk mit Autorin

Begleitet die Leserin, wie hier auf vitaLibris schon beschrieben, in den ersten beiden Bänden die Ich-Erzählerin Hilla immer sehr unmittelbar, erlebt und fühlt direkt mit, beginnt dann auch das Spiel der Zeit mit dem Leitmotiv LOMMER JONN.

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Weites Land, wertvolle Bibliotheken

Ganz ehrlich? Ein Buch mit dem Titel Die Bücherfrauen lasse ich eher links liegen. Dann fragte ich mich aber, ob denn das Netzwerk Bücherfrauen mit dem Roman zu tun hat und schaute mir erst einmal die Kurzbeschreibung sowie den Originaltitel an. Beides klang dann doch interessanter als der deutsche Titel.

In der amerikanischen Originalausgabe erschien das Debüt von Romalyn Tilghman unter dem Titel „To The Stars Through Difficulties“. Dies ist das Motto des US-Bundesstaates Kansas und gilt gewissermaßen auch für die Charaktere des Romans, die in der dortigen Kleinstadt New Hope aufeinandertreffen.

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Schade um dieses „Doppelleben“

Den jüngsten Protesten gegen Rassismus in den USA folgte eine große Solidaritätswelle, auch in Deutschland. #BlackOutTuesday oder #BlackLivesMatter wurde gepostet und Literatur zum Thema vorgestellt.
Für mich bot sich die Gelegenheit ein dazu passendes ungelesenes Buch aus meinem Regal zu greifen: Tim Parks Doppelleben.

Daniel Savage ist Richter der Englischen Krone.
Mit seiner Frau Hilary und den beiden Kindern Sarah und Tom, freut er sich nach einer Affäre auf einen Neuanfang. Er will raus aus der Stadt, hat ein Haus im Grünen mit Kamin und ein Klavier für die Frau gekauft, so sieht er der Zukunft positiv entgegen.
Doch die Vergangenheit ruht nicht: Eine längst verflossene Geliebte will ihn dringend sprechen, Savage erhält merkwürdige Nachrichten und der Bruder will mal wieder Geld.
Sein alter Freund Martin, der ihn immer beratend unterstützte, ist ihm keine Hilfe. Nachdem Daniel ihm bei der Berufung zum Richter vorgezogen wurde, zweifelt Martin am System, sammelt Motten und schaut täglich Seifenopern.

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Weil nicht sein kann, was nicht sein darf?

In Ulla Lenzes Roman Der Empfänger sind die Protagonisten historisch verbürgt und die Handlung erscheint insofern interessant, dass Spione der deutschen Abwehr in New York am Vorabend des Zweiten Weltkrieges bisher in kaum einem Roman auftauchen.

Erzählt wird die Geschichte des Josef Klein, der 1925 von Düsseldorf nach New York auswanderte. Sein Bruder Carl musste in Deutschland bleiben, weil er bei einem Unfall ein Auge verloren hatte und deshalb keine Einreiseerlaubnis erhalten hätte.
1949 kehrt Josef nach Neuss zum Bruder und dessen Kleinfamilie zurück: von den Amerikanern ausgewiesen.
Carl weiß nur, dass Josef im Gefängnis war, aber nicht warum.

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Die Prüfungen des Lebens

Auf die Prüfungen des Lebens kann man sich nicht vorbereiten wie auf ein Quiz. Diese Erfahrung muss auch Brian Jackson, Ich-Erzähler in David Nicholls Roman Keine weiteren Fragen, machen.

Mitte der 80er Jahre hat Brian gerade sein Abitur der Langley-Street-Gesamtschule in der Tasche und zieht von Southend in der Grafschaft Essex in eine Studenten-Bude einer Universitätsstadt mit Türmchen.
„Okay, es ist vielleicht nicht Oxford oder Cambridge, aber es ist das nächstbeste. Die Hauptsache ist doch, dass es eine Universitätsstadt mit Türmchen ist. Träumenden Türmchen.“
Vor allem hat er dort ein Stipendium erhalten.
Das Größte für Brian wäre es, im Uni-Team für Englands anspruchsvollstes Fernsehquiz, der University Challenge, zu stehen. Das sah er als Kind mit seinem Vater, den er schon damals mit seinem Wissen beeindrucken konnte.

Von seinem Ankommen an der Uni, seinem Weg zum Quiz und in die Betten und Herzen der Kommilitoninnen lässt David Nicholls seinen pickligen, jungenhaften „Helden“ selbstironisch, in bester britischer Stand-up-Comedy-Manier erzählen.
Lachen oder mitfühlendes Kopfschütteln, all dies ist beim Lesen des Romans inbegriffen.
Immer wieder gibt es feine Anspielungen auf die englische Literatur (Brians Studienfach), Popmusik der 80er und natürlich ganz viel Quiz-Wissen.

Deshalb habe ich Keine weiteren Fragen, und sage, einfach lesen und lachen.

David Nicholls: Keine weiteren Fragen, aus dem Englischen von Ruth Keen, Heyne 2007;
die deutschsprachige Ausgabe erschien erstmals 2005 bei Kein & Aber

Tja, das ganze Leben ist ein Quiz — Hurz 😊.
— Dank an Hape Kerkeling.

Wenn du das Paradies suchst, geh‘ lieber weiter

Unser Freundeskreis liest und liest und liest. Mit Freunden, Freundinnen oder der Familie verbringt man dann auch gerne anderweitig seine Zeit, weshalb die Muße für schriftliche Ausführungen, die hier einen Beitrag füllen könnten, oft fehlt.
So habe ich für diese Buchvorstellung bei meiner Freundin lange nachhaken müssen, wollte ich doch selbst mehr erfahren als: “bietet interessante Einblicke“.

Silke ist unsere Weltreisende im Freundeskreis. Sie hat schon in der Wüste von Namibia unter freiem Himmel genächtigt oder in Mittelamerika abenteuerliche Bustouren unternommen.
Um sich einzustimmen liest sie natürlich Reiseberichte oder Reiseführer. Vom Berufsalltag der Technischen Zeichnerin abschalten kann sie auch mit einem spannenden Psychothriller oder Unterhaltungsroman, dessen Schauplatz am besten in einem ehemaligen Urlaubsdomizil liegt.
Vom letzten Geburtstag hatte Silke noch einen Gutschein vom örtlichen Buchladen. Drei Bücher nahm sie mit nach Hause; eines davon war Sven Borstelmanns Episodenroman um eine nordhessische Kommune Wenn du das Paradies suchst, geh lieber weiter.
Vielleicht muss man für gute Geschichten ja nicht um die halbe Welt reisen.

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