In Ulla Lenzes Roman Der Empfänger sind die Protagonisten historisch verbürgt und die Handlung erscheint insofern interessant, dass Spione der deutschen Abwehr in New York am Vorabend des Zweiten Weltkrieges bisher in kaum einem Roman auftauchen.
Erzählt wird die Geschichte des Josef Klein, der 1925 von Düsseldorf nach New York auswanderte. Sein Bruder Carl musste in Deutschland bleiben, weil er bei einem Unfall ein Auge verloren hatte und deshalb keine Einreiseerlaubnis erhalten hätte.
1949 kehrt Josef nach Neuss zum Bruder und dessen Kleinfamilie zurück: von den Amerikanern ausgewiesen.
Carl weiß nur, dass Josef im Gefängnis war, aber nicht warum.
Und den Grund möchte auch Josef eigentlich nicht wahrhaben, hat er doch nur „ein tragbares Funkgerät gebaut“. Das allerdings für den deutschen Geheimdienst.
In Rückblicken erfahren wir von Josefs Leben als deutscher Migrant in New York, seiner Wesensart sich treiben zu lassen und seiner Haltungslosigkeit, die ihn als Amateurfunker erst für die Abwehr interessant werden ließ.
Den Rahmen der Geschichte bildet 1953 San José in Costa Rica als Schauplatz. Dorthin erhält Josef zu Beginn und zum Ende des Romans von seinem Bruder Carl die Post, darunter auch die Zeitschrift Stern, in der eine Serie „über die Aktivitäten des deutschen Geheimdienstes in Amerika“ erscheint.
Nach Costa Rica ist Josef durch alte Kontakte über Buenos Aires gekommen. In der „Pension Aleman“, die von einem deutschen Ehepaar geführt wird und in der im Wandschrank eine Büste des Führers steht, hat er ein Zimmer bekommen. Eigentlich wollte er wieder nach New York, doch: „Jetzt ist er also das: ein geflohener Nazi.“
Vor allem ist Josef Klein immer Der Empfänger: von Ideen und Aufträgen seiner Mitmenschen und des Zeitgeistes.
Erst in San José wagt er sich dem zu entziehen. „Vielleicht bleibt er hier“, in San José.
Die vielfach ausgezeichnete Autorin Ulla Lenze erzählt mit der Geschichte des Josef Klein die Geschichte ihres Großonkels in einem größtenteils nüchtern distanzierten Stil. Auch Klein hält innerlich Abstand — zu den Frauen, wie etwa seiner Freundin in New York und seiner Schwägerin in Neuss, zu seinem Bruder oder seinen Auftraggebern.
Empfindungen werden nur (und bisweilen auch mal bemüht kreativ mit „ein Geschmack sprang auf“) beschrieben.
Als Leserin bleibe ich unbeteiligt, wie Josef Klein unbeteiligt an der Spionage der deutschen Abwehr während des Zweiten Weltkriegs sein möchte.
Diese erzählerische Distanz ist gleichermaßen Stärke und Schwäche des Romans, der insgesamt ein gut recherchiertes Kapitel deutsch-amerikanischer Geschichte nahebringt.
Ulla Lenze: Der Empfänger, Klett-Cotta 2020,
ISBN der gebundenen Ausgabe mit Schutzumschlag
978-3-608-96463-9
ISBN der E-Book-Ausgabe (epub)
978-3-608-11581-9
Moin, liebe Andrea,
ein Buch dieser Thematik habe ich noch nicht gelesen. Meine Zweiter-Weltkrieg-Literatur beschränkt sich zumeist auf die Holocaust-Opfer.
Liebe Grüße,
Anne-Marit
So ähnlich ging es mir auch, liebe Anne-Marit.
Die Verbindung der Themen Spionage der Deutschen Abwehr in den USA und wie gehen Familien mit denen um, die den Krieg nicht in Deutschland erlebt haben, macht eigentlich den Reiz des Buches für mich aus.
Ulla Lenze erzählt dabei nie gefühlig oder urteilend.
Letztlich hat mich dieser Roman aber etwas ratlos zurückgelassen.
Liebe Grüße
Andrea