Es begann mit dem Film Sommerfest, nach einem Roman von Frank Goosen. Beim fröhlichen Literaturschauen erinnerte ich mich, zwei gute Besprechungen von Goosens neuem Roman Kein Wunder in Printmedien gelesen zu haben.
In ebenso guter Erinnerung habe ich seinen Debütroman Liegen lernen, der im Jahre 2000 im Eichborn Verlag erschien.
Nun fügte es sich auch noch, als ich eigentlich nur Bücher zurückgeben wollte, dass im Regal der Neuanschaffungen unserer Gemeindebücherei Kein Wunder frontal präsentiert wurde. So kam ich nicht umhin es auszuleihen und freute mich sehr aufs Lesen. Denn: Liebesgeschichten erzählen, das kann Goosen. Und zwar unsentimental, humorvoll und frei von jeglichem Kitsch, mitten aus dem Ruhrpott-Leben.
Ist ihm dies mit Kein Wunder auch über politische Systemgrenzen hinweg gelungen?
1989: In Deutschland und Berlin ist einiges los, was auch die Nachrichten bestimmt. Für drei Bochumer Jungs ist allerdings die Liebe wichtiger. Fränge, Brocki und Förster sind Anfang 20 und seit der gemeinsamen Zeit auf dem Gymnasium befreundet. Brockis Vater war Stahlwerker und ist bereits in Rente. Förster ist Akademikerkind und studiert Germanistik, möchte schreiben und Autor werden. Seine Brötchen kauft er in der Bäckerei von Fränges Eltern.
Fränge selbst ist nach Berlin gezogen. Denn nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch tief im Westen gibt es „grau-braune Fassaden“ und Bochum ist ihm schlicht zu provinziell. Dabei hat der Strukturwandel inzwischen auch den Pott erreicht. Aus Zechen werden Kulturstätten und die Bochumer Szene wird zusehends hip.
Salonkommunist Fränge gefällt das Leben im geteilten Berlin. Als „Weltenwanderer der Liebe“ hat er in Westberlin Freundin Marta, im Ostteil der Stadt pflegt er eine Beziehung mit Rosa.
Im Mai ‘89 besuchen Brocki und Förster Fränge in Berlin. Stolz nimmt Fränge seine Freunde mit in den Osten, um ihnen Rosa vorzustellen. Die bringt allerdings auch Försters Gefühlswelt durcheinander.
Auf einem gemeinsamen Hoffest in Ostberlin kocht die Stimmung der Unzufriedenheit hoch, als Fränge anfängt, SED-Propaganda-Liedgut kundzutun. Dennoch ist Förster klar, „zu ihren Lebzeiten würde sich das alles nicht mehr ändern, festgemauert in der Erden, stand der antifaschistische Schutzwall, da würden keine Flugblätter und keine Kirchen etwas dran ändern, Gorbatschow hin oder her, der wollte ja auch nur sein eigenes System vor dem Untergang bewahren und würde die Panzer rollen lassen, wenn es ernst wurde, da musste man sich nichts vormachen.“
Im Juli dann, fährt Förster allein zu Fränge nach Berlin und wird zu dessen Komplizen in Sachen Beziehungsorganisation.
Wieder findet ein Hoffest bei den Ostberlinern statt. Immer mehr Wohnungen stehen leer. Ihre Mieter sind nicht aus dem Ungarnurlaub zurückgekehrt oder haben sich anderweitig abgesetzt. Ein kleines Stück Freiheit bieten die Dachterrassen, auf denen sich die Menschen zuwinken und Förster Rosa ein wenig näherkommt.
Und im November passiert nun doch, woran keiner geglaubt hat. Während Förster in Bochum seine Wohnung von Grund auf renoviert, fällt in Berlin die Mauer. Natürlich sind diese Änderungen Fränges „Liebeslogistik abträglich“. Rosa könnte ja jetzt in den Westen fahren und ihn besuchen wollen…
Schon in den ersten Kapiteln erweist sich Frank Goosen als genauer Beobachter und humorvoller Erzähler. „Jetzt bitte nicht witzig werden“, sagt Fränge einmal. Goosen wird es dennoch immer wieder.
Sehr atmosphärisch beschreibt er die damals noch stark verqualmten Restaurants oder die Reise nach Berlin. Wenn bei der Fahrt durch Ostdeutschland „der Jetta über die Nahtstelle zwischen den Betonplatten plockte“, fahren vor allem jene Leser, die eigene Erinnerungen damit verbinden können, mit auf den Grenzübergang zu. Fränges Ängste wiederum beim zu schnellen Fahren auf der Transitstrecke direkt abgeschossen oder aber von Trabi-Fahrern winkend überholt zu werden, sind richtig komisch.
Er formuliert mal fein, wenn Förster sich fragt was es bringt, „jetzt rhetorisch noch mal aus dem Sulky zu gehen,“ findet bisweilen einen fast poetischen Erzählton, wenn „die Sonne beim Abgang trödelt“ und Rosas Schweigen „kein Schweigen wortlosen Glücks“ ist. Und in melancholischem Ton berichten die Zurückgebliebenen bei den Vorbereitungen zum zweiten Hoffest in Ost-Berlin, wie es ihnen mit der Situation geht.
Besonders wichtig sind Goosens erkennbarem Alter Ego Förster „Details“. „Details sind wichtig, […], Details machen eine Geschichte lebendig.“
Goosen gelingt dies ausgezeichnet: So braucht Brockis WG-Mitbewohner immer ein Glas Milch, um Berliner zu essen. Gerd „nahm erst ein Glas aus dem Hängeschrank links von ihm und dann die Packung Milch aus dem Kühlschrank, wobei er den Berliner mit den Zähnen festhielt. Sein durch die Nase austretender Atem ließ kleine Zuckerwolken aufwirbeln.“
Ja, Details sind wichtig: Im Leben, in der Liebe und vor allem beim Geschichtenerzählen.
Das hat Frank Goosen verstanden. Ihm ist es hervorragend gelungen eine Geschichte über Männerfreundschaft und Liebe über Systemgrenzen hinweg zu erzählen.
Und damit auch ein wunderbares Stück Zeitgeschichte – pünktlich zum 30-jährigen Mauerfall.
Frank Goosen: Kein Wunder, Kiepenheuer & Witsch 2019,
ISBN der gebundenen Ausgabe 978-3-462-05254-1
Schreibe einen Kommentar