Den jüngsten Protesten gegen Rassismus in den USA folgte eine große Solidaritätswelle, auch in Deutschland. #BlackOutTuesday oder #BlackLivesMatter wurde gepostet und Literatur zum Thema vorgestellt.
Für mich bot sich die Gelegenheit ein dazu passendes ungelesenes Buch aus meinem Regal zu greifen: Tim Parks Doppelleben.
Daniel Savage ist Richter der Englischen Krone.
Mit seiner Frau Hilary und den beiden Kindern Sarah und Tom, freut er sich nach einer Affäre auf einen Neuanfang. Er will raus aus der Stadt, hat ein Haus im Grünen mit Kamin und ein Klavier für die Frau gekauft, so sieht er der Zukunft positiv entgegen.
Doch die Vergangenheit ruht nicht: Eine längst verflossene Geliebte will ihn dringend sprechen, Savage erhält merkwürdige Nachrichten und der Bruder will mal wieder Geld.
Sein alter Freund Martin, der ihn immer beratend unterstützte, ist ihm keine Hilfe. Nachdem Daniel ihm bei der Berufung zum Richter vorgezogen wurde, zweifelt Martin am System, sammelt Motten und schaut täglich Seifenopern.
Tim Parks will viel — zu viel.
Der Protagonist mit dunkler Hautfarbe wurde selbst als Kind in eine weiße Oberschicht-Familie adoptiert, ist ein mit einer weißen Frau verheirateter und mit Affären belasteter Familienvater. Als schwarzer Alibi-Richter steckt er im Dilemma eigentlich befangen zu sein, aber neutral agieren zu müssen. Dabei ist er in allen Lebensbereichen permanent von Rassismus umgeben.
Persönliche Sinn-, Ehe- und Familienkrisen kommen hinzu.
Dies alles lässt Parks zunächst geschickt in die Geschichte einfließen und die Charaktere sind anfangs recht interessant gezeichnet. Jedoch fehlt es der Handlung an Dynamik. Da hilft es auch nicht, dass Daniel Savage hinter dem Verschwinden seiner ehemaligen jungen koreanischen Geliebten ein Verbrechen vermutet. Nach einem konspirativen Treffen mit deren Vater und Bruder, wird er brutal zusammengeschlagen und landet schwer verletzt im Krankenhaus.
Der kurzzeitig gewonnene Schwung verliert allerdings gleich wieder an Fahrt.
Auch über sich entwickelnde Charaktere, deren innere Konflikte oder gesellschaftliche Verwerfungen erreicht Tim Parks mich nicht.
Er beobachtet in Doppelleben die englische Gesellschaft, lässt das Personal über Individualismus und Egalitarismus, Ungleichheit in der sozialen Ordnung oder das englische Rechtssystem reflektieren. Leider geht in dieser Fülle manch kluger Gedanke verloren und Parks bleibt schlagwortartig an der Oberfläche. Der Roman wirkt überladen.
Die Übersetzung von Michael Schulte wirkt auch nicht sehr überzeugend. Als ein Angeklagter mit Cockney-Akzent „ick ooch […] nie jesehen“ sagt, bin ich jedenfalls gleich zu Beginn irritiert und wähne mich eher in Berlin, als in England. Und so stolperte ich beim Lesen wiederholt über diverse Ungereimtheiten.
Doppelleben, die Geschichte um einen farbigen Richter im England Anfang des Jahrtausends, birgt verschenktes Potential. Das ist schade, denn dieses Thema hätte mehr Tiefe verdient.
Für dieses Buch habe ich mir — nach meinem Empfinden — zu viel Zeit genommen.
Für diejenigen, die sich aber einen eigenen Eindruck verschaffen möchten, folgen die bibliografischen Daten:
Tim Parks: Doppelleben, aus dem Englischen von Michael Schulte, Verlag Antje Kunstmann 2003,
ISBN der gebundenen Ausgabe 3-88897-323-6
Diesen Beitrag verfasste ich nach der Lektüre von 169 Seiten, also einschließlich Kapitel 11. Auf Seite 181 brach ich konsterniert ab und war nicht mehr bereit, Richter Savage zu folgen.
Das ist die Freiheit, den die Bloggerin einer persönlichen Literaturseite gegenüber den Feuilletonisten hat und die ich mir hier erleichtert nehme.
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