Haben sich Büchermenschen im letzten halben Jahr nicht völlig dem Literaturbetrieb entzogen, ist ihnen der Name Gutkind doch sehr wahrscheinlich begegnet.
Dabei handelt es sich um einen neuen Verlag aus der Mediengruppe Bonnier, zu der auch die großen Verlage Piper, Carlsen oder Ullstein gehören. Letzterer hat zudem den Vertrieb der neuen Unternehmenstochter übernommen, was die Aufmerksamkeit des Fachpublikums auf die Verlagsgründung weiter erhöht haben dürfte.
Aber auch bekannte Namen wie Keanu Reeves oder Sabin Tambrea schmücken das erste Programm aus dem Herbst 2024.
Der Name des neuen Verlags geht übrigens auf den 1778 in Dresden geborenen und nach Kopenhagen ausgewanderten Verlagsbuchhändler Gutkind Hirschel zurück. Dessen Sohn Albert Bonnier siedelte nach Schweden um, gründete dort ebenfalls einen Verlag und ist Namensgeber des heutigen Mutterkonzerns.

Mit dem Roman Das letzte Leuchten im Winter findet sich auch ein Buch von der Shortlist des National Book Award 2023 im ersten Programm des neuen Verlags.
Eigene Erfahrungen mit der laestadianischen Glaubensbewegung sowie intensive Recherchen über die Sámi bewogen die US-amerikanische Autorin und Tochter finnischer Eltern Hanna Pylväinen zu dieser Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht.

Zerrissene Herden

Schauplatz des Romans ist das nördlichste Skandinavien der Jahre 1851/52.
In einem winzigen Kirchdorf ohne Straße, ohne Schule, aber mit einem kleinen Laden, bekehrt der charismatische Pfarrer Lars Levi Laestadius immer mehr Sámi, darunter auch Ivvárs Vater Biettar. Ivvár muss nun allein weiterziehen und die Rentierherde der Familie hüten.
Enttäuscht und mit zu viel Brännvin im Blut kann sich Ivvár eines Tages nicht mehr aus dem eisigen Schnee aufraffen, bis ihm die Pfarrerstochter Willa hoch hilft. Danach fühlen sie sich bei jeder Begegnung stärker zueinander hingezogen.
Willas Eltern machen ihr jedoch sehr deutlich klar, wie sie zu dieser Liebe stehen. Kurzerhand beschließt Willa der religiösen Enge zu entfliehen und folgt den Sámi-Familien auf deren Weg nach Norden ans Meer, wo sie mit ihren Rentierherden den Sommer verbringen werden.

Als „zauberhaftes Winterbuch“ wird Das letzte Leuchten im Winter vom Verlag beworben, doch das Leben nördlich des Polarkreises ist alles andere als zauberhaft. Es ist meist kalt und öd. Willas und Ivvárs gegenseitiges Verlangen ist zunächst spürbarer als das eigene Verlangen weiterzulesen. Das liegt nicht an der tatsächlich sehr eindringlichen Geschichte, sondern an den schwer erträglichen, extremen Lebensbedingungen und den starken kulturellen Zwängen, denen die Menschen dort ausgesetzt sind, und Ivvár spricht nicht nur Willa und sich selbst Mut zu, wenn er sagt:
„Die Nacht ist nie so lang, dass der Tag nicht kommt“.
Den Entscheidungen von Krone und Kirche bleiben die Menschen, ob Sámi oder Christ, allerdings ausgeliefert. Mit schwerwiegenden Folgen.

Hanna Pylväinen erzählt in ihrem Roman weit mehr als eine Liebesgeschichte. Sie führt den Leser in völlig unterschiedliche Welten – historisch, geografisch und kulturell.

Ein beeindruckendes Buch.

 

Hanna Pylväinen: Das letzte Leuchten im Winter, aus dem amerikanischen Englisch von Karoline Hippe
Gutkind Verlag 2024
ISBN der gebundenen Ausgabe
978-3-9894102-0-6
ISBN der E-Book Ausgabe (epub)
978-3-9894102-1-3