Leben mit Büchern

Schlagwort: Suhrkamp

Mitten rein

Wie bin ich da nur wieder reingeraten? Mitten nach Hamburg, in die Blaue Nacht?
Eigentlich wie so oft. Da wurde dieser Bücherflohmarkt angekündigt, und natürlich bin ich an besagtem Samstag pünktlich um zehn Uhr dort aufgeschlagen.
So kam es dann auch dazu, dass ich mitten in der Chastity-Riley-Reihe von Simone Buchholz gelandet bin.

Weil Staatsanwältin Riley erfolgreich gegen einen Vorgesetzten ermittelte und nicht ganz legal von einer Schusswaffe Gebrauch machte, ist sie derzeit zur Opferschutzbeauftragten, sagen wir mal, ernannt worden. Weitere Ermittlungen sind auf diesem Posten nicht vorgesehen. Aber das hält Riley nicht auf. Schließlich muss der Tag irgendwie verbracht werden. Und ihr jüngster Schutzbefohlener, ein Mann mit reichlich gebrochenen Knochen und abgetrenntem Zeigefinger, reizt sie doch zu mehr, als nur in einem freundlichen Gespräch seinen Namen herauszufinden …

Im Kriminalroman wird geraucht und ausgiebig vorzugsweise Alkohol getrunken, die Sprache ist meist direkt bis rau und klingt für manche Leser vielleicht etwas stark nach „Milieu“.
Hin und wieder scheinen jedoch fast poetisch anmutende Zeilen auf:

Der Mond hängt vor meinem Fenster, er ist drauf und dran, sich zu halbieren, und der Hafenstaub hat auch noch einen seiner speziellen Filter draufgepackt.“

Für mich ging dieser Fall richtig gut aus. Ich hatte keinerlei Probleme hineinzufinden und meine Zeit mit Chastity Riley in Hamburg, mit einem kleinen Abstecher nach Sachsen und Tschechien, verging wie im Flug.
Gut möglich, dass ich mich noch einmal an Rileys Fersen heften werde.

Simone Buchholz: Blaue Nacht (Chastity-Riley-Reihe, Band 6)
Suhrkamp 2016
ISBN der Erstauflage im Klappenbroschur
978-3-518-46662-9

Von harten Zeiten erzählt Adrian McKinty in „Der sichere Tod“

„Wir haben 1992. In New York werden jedes Jahr gut zweitausend Leute umgebracht. Es gibt Bandenkriege.“
Und: „In der Bronx leben Zehntausende irische Neueinwanderer. Arme, illegale Halbwüchsige, die vor dreißig Prozent Arbeitslosigkeit und dem Bürgerkrieg geflohen waren“.

Einer von ihnen ist Michael Forsythe aus Belfast.
Michael wollte nicht nach Amerika und wie der Schwager seiner Cousine für den „Geschäftsmann“ Darkey White arbeiten. Aber kurz vor Weihnachten ’91 wurde ihm wegen Sozialhilfebetrugs endgültig die Stütze gestrichen, sodass er keinen anderen Ausweg sah, als doch zu fliegen.

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Lieber erzählen statt zählen

Eigentlich wollte ich mich lieber erbaulicherer Literatur zuwenden, weswegen das Buch Das metrische Wir von Steffen Mau schon einige Zeit im Regal lag.
Außerdem schien mir die These, dass die zunehmende, eng mit der Digitalisierung zusammenhängende und alle Lebensbereiche umfassende, Vermessung der und des Einzelnen normativ, manipulativ und selektiv sei, doch allzu offensichtlich. Und darüber hinaus auch schon in der Populärliteratur recht gut abgefrühstückt, denkt man an Romane wie Dave Eggers The Circle oder Marc Elsbergs ZERO.

Nun hat aber China aktuell sein sogenanntes Social Credit System optimiert eingeführt. In diesem werden „Aktivitäten im Internet, Konsum, Verkehrsdelikte, Arbeitsverträge, Bewertungen von Lehrern oder Vorgesetzten, Konflikte mit dem Vermieter oder das Verhalten der eigenen Kinder“ in einem einheitlichen Score zusammengeführt. Das Verhalten in all diesen Bereichen hat dann „Auswirkungen auf den individuellen Social Score“ einer Person.
Unternehmen und Behörden können und sollen jederzeit auf ihn zurückgreifen, womit dieser alles umfassende individuelle Social Score den Wert eines Menschen und seine Möglichkeiten im gesamten gesellschaftlichen Leben bestimmt [Mau, S. 9].

Während in China der Staat mittels dieses Scores die „totale soziale Kontrolle“ innehat, liegen die großen ökonomischen Gewinne des umfassenden Datensammelns in der westlichen Welt bei wenigen Konzernen.
Der Einzelne hofft hingegen, beispielsweise durch die Belohnungssysteme der Krankenkassen, einen kleinen ökonomischen Ertrag zu erzielen, in den Sozialen Medien Werbepartner zu akquirieren oder in der wissenschaftlichen Community seine Reputation zu steigern.
Steffen Mau konstatiert eine „allgemeine Mitmachbereitschaft“ beim Bewertungskult um Sterne und Punkte oder Likes in den Sozialen Medien. Und auch ich mit vitaLibris mache „im Wettkampf um die besseren Zahlen“ mit, weshalb ich sein Buch nun doch gelesen habe.

„Alles kann, soll oder muss vermessen werden — ohne Zahlen geht gar nichts mehr. […] die Art und Weise, wie sich die Gesellschaft selbst beobachtet und beschreibt, bezieht sich zunehmend auf die messbare Seite der Welt und des Lebens.“ [S. 25]

Auch auf das Leben mit Büchern.

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