Von dem Autor und Journalisten Olivier Guez ist in Deutschland vor allem der Film Der Staat gegen Fritz Bauer bekannt. Für das Drehbuch erhielt er den Deutschen Filmpreis.
Dass Guez einen Abschluss in Internationalen Beziehungen vorzuweisen hat und unter anderem auch an der angesehenen London School of Economics studierte, ist für die Einordnung des historisch-politischen Hintergrunds seines Romans Das Verschwinden des Josef Mengele von großem Wert. Am Ende des Buchs finden sich Quellenangaben, wie für eine historische Facharbeit. Dies ist der Roman aber mitnichten.
Die Geschichte beginnt im Jahr 1949 nach der Währungsreform.
Helmut Gregor ist Josef Mengele und er hat auf der sogenannten Klosterroute Argentinien erreicht. Fühlt er sich kurz nach seiner Ankunft noch vom „Ingenieur der Rasse“ zum „Floh“ abgewertet, findet er beim Dürer-Verlag, der die Nazi-Zeitschrift Der Weg herausbringt, wieder Kontakt zu anderen nach Argentinien emigrierten Nationalsozialisten. Sein gesellschaftlicher Aufstieg in Buenos Aires gelingt auch, weil Peron mit den eingereisten Kriegsverbrechern und Nazis Argentinien zum Vierten Reich aufbauen will.
Das Blatt wendet sich für Mengele, als Adolf Eichmann vom Mossad entführt und in Israel vor Gericht gestellt wird. Von der Angst getrieben, dass ihm das Gleiche widerfährt, führt ihn seine Flucht über Paraguay nach Brasilien.
Damit die Firma Mengele weiter floriert, erhält er finanzielle Unterstützung von seiner Familie in Deutschland und logistische von den nationalsozialistischen Gesinnungsgenossen in Südamerika.
Olivier Guez beschreibt Mengele als einen Menschen, der stets zwischen Selbstherrlichkeit und Selbstmitleid schwankt. Dabei schont Guez uns Leser nicht, das Grauen überkommt einen mehrfach. Zum einen in den gruseligen Details der Machenschaften des KZ-Arztes von Auschwitz im Namen der Wissenschaft, zum anderen mit der Tatsache, dass seine damaligen Kollegen und Förderer in der neuen Bundesrepublik in der Zivilisation angekommen sind und ein Leben ohne Angst führen können.
An diesem Neid seinen in Deutschland lebenden Nazikollegen gegenüber und dem Unverständnis der Welt für seine, in seinen Augen wichtigen Arbeit in Auschwitz, leidet Mengele Höllenqualen in der Hitze Südamerikas.
Olivier Guez sieht mit Röntgenblick in Mengele hinein und die Veränderung im Inneren spiegelt sich in dessen Äußeren. Mit Abscheu begleitet der Leser Mengele dabei, wie er sich zunehmend vernachlässigt und letztlich aufgibt.
Am Ende verschwindet immer mehr; das 1000jährige Reich, der Peronismus, Mengeles Verbündete und Mengele selbst.
Aber all dies Verschwundene kann jederzeit wieder sichtbar werden – in Gestalt neuer Bewegungen und Parteien, in Gestalt von Menschen wie Mengele und deren Gedankengut.
Olivier Guez: Das Verschwinden des Josef Mengele, in der Übersetzung von Nicola Denis, Aufbau Verlag 2018, ISBN der gebundenen Ausgabe 978-3-351-03728-4
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