2013 drückte mir die Kollegin Hanne das Buch Wer das Schweigen bricht von Mechtild Borrmann in die Hand und verwies auch gleich auf deren Nachfolgeroman Der Geiger. Jetzt musste ich aber erst in der Bücherei auf Trümmerkind stoßen, es gleich mitnehmen und war beim Lesen wieder so von Borrmanns klarer Sprache beeindruckt, dass ich nun endlich auch auf die Suche nach der Geige des Ilja Wassiljewitsch Grenko ging.

1948 wird Ilja Grenko unmittelbar nach einem erfolgreichen Konzert in Moskau unter dem Vorwurf der geplanten Landesflucht verhaftet und direkt zur berüchtigten Lubjanka gebracht. Ein Irrtum, hofft er – jedoch vergebens. Seine Geige, eine seit Generationen in Familienbesitz befindliche Stradivari, wird ihm abgenommen. Ilja wird ins Arbeitslager Workuta deportiert, während sowohl in der öffentlichen Propaganda als auch seiner Frau Galina erklärt wird, er habe sich ins Ausland abgesetzt. Für Galina und die beiden kleinen Söhne Pawel und Ossip bedeutet dies die Verbannung nach Karaganda ins ferne Kasachstan.
Im Sommer 2008 kontaktiert Ilja Grenkos in München lebende Enkelin Vika ihren Bruder in Köln und sagt schlicht: „Sascha, ich bin in Schwierigkeiten. Es geht um unsere Vergangenheit, und ich brauche deine Hilfe.“
Sascha beschließt, sofort zu Vika nach München zu fahren. Auf den Spuren seiner Familiengeschichte und der verloren gegangenen Geige überschlagen sich in nur drei Tagen die Ereignisse.

Mechtild Borrmann erzählt, wie in den anderen beiden Romanen auch, anhand einer individuellen Familiengeschichte historisches Weltgeschehen.

In Der Geiger erfahren die Leser, wie die Familie Grenko durch die perfidesten Machenschaften – einem über sie ausgeworfenen Netz aus Lügen, Angst und Gewalt – ihrer Existenz beraubt wird.
Unaufgeregt, aber bis ins Mark eindringlich, schildert sie das Leben und Sterben im Gulag und in der Verbannung zwischen Hoffen Verzweiflung und Resignation.

Auf der gegenwärtigen Zeitebene lässt Borrmann Saschas Wege nach Almaty und Moskau führen. Dort erfährt er von Geld, Macht und Einfluss der Nachfahren bestimmter Leute, die mit Ilja im Arbeitslager Workuta waren, von illegalen Waffenlieferungen und wie es Irina, einer freien Journalistin erging, als sie über einen anderen 1948 angeblich geflüchteten Musiker recherchierte und der Wahrheit zu nahe kam.

Uns Lesern wird hier absolut klar: Stalins Erben und der lange Arm des KGB wirken weiter.

Mechtild Borrmann: Der Geiger, Droemer Knaur 2013,
ISBN der Taschenbuchausgabe
978-3-426-51038-4

 

Für Wer das Schweigen bricht erhielt Mechtild Borrmann 2012 den Deutschen Krimi Preis. Die Originalausgabe erschien im Pentragon Verlag und ist als Taschenbuch und E-Book erhältlich.