Der Londoner Lehrer Michael Kabongo hat seinen Job gekündigt, hat seinen Besitz der Wohlfahrt übergeben, bis auf ein Buch, das er auf jede Reise mitnahm, und hat in letzter Minute seinen Flieger nach San Francisco bestiegen, um mit seinen gesamten Ersparnissen von 9.021 Dollar auf seine letzte Reise zu gehen.
Sind sie aufgebraucht, „bringe ich mich um.“
Was hat ihn zu diesem Entschluss getrieben, und wie wird diese Geschichte ausgehen?
Die Leser*innen begleiten Michael in seinem – für ihn immer frustrierender erscheinenden – Alltag und gehen dazwischen mit ihm auf die Reise durch die USA, gehen mit ihm auf die Flucht aus seinem Leben.
Manche seiner Schüler sind auch Nachfahren der Windrush-Generation, Einwanderer aus dem britischen Commonwealth, die wie Michael aus ehemaligen afrikanischen Kolonien stammen und die in London, in „dieser Stadt“, in diesem Land, ja, in den Strukturen dieser Welt gefangen sind.
Er möchte sie dabei unterstützen, etwas aus ihrem Leben zu machen, wegzukommen von dem vorgezeichneten Werdegang in die Armut oder gar in die Kriminalität. Er fühlt sich dabei aber vollkommen hilflos.
Egal, wo er sich aufhält, ob in London oder in den USA, die Geschichte schwarzer Sklaven ist eine „Geschichte, die in seinen Knochen weiterlebt“.
Wie damit umgehen? Wie kann ein Schwarzer in dieser Welt wieder Freiheit erlangen?
Die Suche nach Identität, nach seiner Geschichte und seiner Zukunft hat ihn völlig ausgebrannt. Auf diesem Weg trifft er jedoch auf Menschen, die ihm nahe kommen, die weiter atmen, obwohl auch sie am Leben in dieser Welt leiden und in Michael Fragen aufwerfen:
Kennen wir uns selbst überhaupt? Erkennen uns unsere Mitmenschen so, wie wir wirklich sind, und ist dies überhaupt möglich oder nötig?
Was kann Michael die Kraft zum weiter atmen geben? Immer wieder keimt beim Lesen ein Hoffnungsschimmer auf, immer wieder verdunkelt er sich im Verlauf der Geschichte, erlischt aber nicht.
Weiter atmen ist in der Handlung in klarer Sprache formuliert. Michaels Gedankenwelt und manche Dialoge sind oft philosophisch bildhafter Art und gegen Ende wirkt die Geschichte zunehmend wie eine Predigt. Eine gute Predigt, aus der auch diejenigen, die mit Religiosität nichts am Hut haben, aber an dieser Welt voller Konflikte und Krisen samt ihren Folgen leiden, etwas für sich ziehen können.
Deshalb ist der Roman Weiter atmen von JJ Bola ein Buch, für das ich mir gerne Zeit genommen habe.
Im Protagonisten Michael finden sich einige Gemeinsamkeiten mit seinem Schöpfer JJ Bola. Der Autor von Weiter atmen ist ebenfalls im Kongo geboren, flüchtete nach England und wuchs in London auf. Auch plagten ihn in seiner Jugend Depressionen. Diese Erfahrungen konnte er später in seine Tätigkeit als Sozialarbeiter einbringen.
JJ Bola hat einen Master in Kreativem Schreiben und veröffentlichte bisher drei Gedichtbände, zwei Romane und das Sachbuch Sei kein Mann.
JJ Bola: Weiter atmen, aus dem Englischen von Katharina Martl,
Kampa Verlag 2022,
ISBN der gebundenen Ausgabe
978-3-311-10043-0
ISBN der E-Book Ausgabe (epub)
978-3-311-70355-6
Ich möchte mir hier auch gerne einmal Zeit für nehmen;)
Alles Beste
Cosmina