Im Mai 2021 flogen wieder Raketen über Israel und Palästina. Seit Jahrzehnten leiden unzählige Araber und Juden, die oftmals friedlich miteinander leben oder arbeiten, unter den Angriffen der Extremisten beider Seiten.
Was dieser Dauerkonflikt sowie Flucht und Vertreibung für die Menschen bedeuten und wie Geschichte in Familien vererbt wird, zeigt Claire Hajaj in ihrem zutiefst emotional erzählten Roman Ismaels Orangen.

Palästina 1948. Das Leben ist mindestens kompliziert geworden. Es gab eine „Zeit als sie noch Freunde hatten sein dürfen.“  Der siebenjährige Salim, Sohn eines palästinensischen Orangenzüchters, Masen, dessen Vater einer der obersten Richter von Jaffa ist und Elia, arabischer Jude, dessen Mutter „mit den weißen Juden nach Palästina gekommen“ war.
Jetzt ist Krieg, es wird immer gefährlicher und die meisten Araber verlassen Jaffa. Auch Salims Familie flieht. Das Haus mit der Orangenplantage und den für ihn zu seiner Geburt gepflanzten Baum müssen sie zurücklassen.

Währenddessen wächst Judith, deren jüdische Großmutter 1908 aus dem russischen Ansiedlungsrayon geflohen ist, in England auf.

Im London der Swinging Sixties lernen sich Salim und Judith kennen und versuchen, entgegen allen familiären und gesellschaftlichen Widerständen, eine gemeinsame Zukunft aufzubauen.
Doch die durch ihre Herkunft begründeten Konflikte werden in die junge Familie hineingetragen und dort weitergeführt.

Diese Geschichte über die Suche nach Heimat und einem Zuhause wird von dem Gefühl einer großen Traurigkeit bestimmt und befällt auch mich beim Lesen.
Bei jedem Streit, jeder Auseinandersetzung halte ich inne, fühle mit und verstehe — beide Seiten: Verstehe die (Sehn)Sucht nach Anerkennung, als Mensch oder einem Stück Land als eigenen Staat. Verstehe, wenn Salim ungerecht über seine Frau oder seinen Sohn urteilt, weil auch ihm so viel Ungerechtigkeit widerfahren ist.

Clair Hajaj ist selbst Tochter einer jüdischen Mutter und eines palästinensischen Vaters und mit beiden Kulturen aufgewachsen. Wohl auch deshalb kann sie so einfühlsam beide Seiten einer Liebe vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts schildern.

Der Roman Ismaels Orangen ist zwar so unendlich traurig wie die Geschichte Israels und Palästinas, aber bewegend erzählt und unbedingt lesenswert.

 

Claire Hajaj: Ismaels Orangen, aus dem Englischen von Karin Dufner, Blanvalet 2015,
ISBN der gebundenen Ausgabe
978-3-7645-0516-5

Die Taschenbuch-Ausgabe erschien 2016 unter dem Titel: Der Duft von bitteren Orangen,
ISBN 978-3-7341-0046-8