Vor fünfzig Jahren übersetzte die Schriftstellerin Eva Demski mit dem Buch „Anarchismus – Begriff und Praxis“ von Daniel Guérin einen Klassiker zum Thema. Seitdem schaute sie viel bewusster auf anarchistische Lebensformen und dahinterstehende Ideen.

Nun ist sie mit Neugier und Freude auf die Suche gegangen, um den „Zauber einer unideologischen Denkweise wiederzuentdecken“ und auch anarchistischen Ideen der Gegenwart nachzuspüren. Dafür hat sie ein Album angelegt, in dem sich bekannte und weniger bekannte oder gar vergessene Menschen finden, die verschiedene „Denkelemente des Libertären“ in ihrem Leben, oder auch für Andere, ermöglichen wollten. Davon grenzt sie den Anarchismus als Doktrin ab und berichtet auch von „Irrwegen“, die etwa mit Gewalt beschritten wurden.
Demski unterscheidet den Anarchisten vom Anarchen, zu denen sie beispielsweise Marcel Reich-Ranicki oder Udo Lindenberg zählt und von denen sie unterhaltsam erzählt. Das macht sie wunderbar subjektiv – schließlich ist es ihr Album. Sie lässt ihre Gedanken aber nicht unbegründet und schaut voller Respekt auf die Leben der von ihr vorgestellten Menschen.

Mit Fotos, die Spuren des Anarchismus im Stadtbild zeigen, werden die Geschichten um Banksy und Co ergänzt. So, wie es sich für ein Album gehört.

Im „libertären Alltag, hat man zwar das große Ganze im Blick, weiß aber, dass man höchstens das Nächstgelegene schafft. Das Sichtbare. Das wofür man keine Macht braucht, sondern Fantasie, Freundlichkeit und Gelassenheit.“

Es gibt von Anarchistinnen wie Eva Demski auch keine Ratschläge. „Kein du musst, kein du darfst nicht, kein du solltest.“
Dies ist mir zutiefst sympathisch, konnte ich doch dem Hinweis, dieses Buch muss man lesen, noch nie etwas abgewinnen. Nur sterben müssen wir früher oder später. Da erlaube ich mir das vereinnahmende wir, ist es doch so ziemlich das Einzige, worin ich mir recht sicher bin. Und bis es mit dem Sterben soweit ist, hoffe ich, diese Zeit so gut wie möglich verbringen zu können. Mein anarchistisches Album von Eva Demski zu lesen, war jedenfalls gut verbrachte Zeit.

Und: „Lächeln und Zuhören sind revolutionäre Taten. Man muss es nur mal probieren, klingt einfach, ist es aber nicht“, schreibt Demski noch.
In Zeiten der allgemeinen Aufgeregtheit klingt „Lächeln und Zuhören“ für mich allerdings eher nach einer sehr verlockenden Herausforderung.

Eva Demski: Mein anarchistisches Album, Insel Verlag 2022,
ISBN der gebundenen Ausgabe
978-3-458-17843-9
ISBN der E- Book Ausgabe (epub)
978-3-458-76705-3

Die Karte im Beitragsfoto ist von Taurus Cards.