Grundgesetz
für die Bundesrepublik Deutschland

vom 23. Mai 1949.

 

  Der Parlamentarische Rat hat am 23. Mai 1949 in Bonn am Rhein in öffentlicher Sitzung festgestellt, daß das am 8. Mai des Jahres 1949 vom Parlamentarischen Rat beschlossene Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der Woche vom 16.-22. Mai 1949 durch die Volksvertretungen von mehr als Zweidritteln der beteiligten deutschen Länder angenommen worden ist.
Auf Grund dieser Feststellung hat der Parlamentarische Rat, vertreten durch seinen Präsidenten, das Grundgesetz ausgefertigt und verkündet.
Das Grundgesetz wird hiermit gemäß Artikel 145 Absatz 3 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.

 

In diesem Auszug aus dem Dokumentenarchiv der Bundesrepublik Deutschland werden schon die wichtigsten Daten genannt: In diesen Tagen feiert unser Grundgesetz 70. Geburtstag.
Eine bedeutende Frau, die für die Durchsetzung des Absatz 2 in Artikel 3 – „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ – unserer Grundrechte steht, war Elisabeth Selbert. Dieses entscheidende Engagement für die Entwicklung unserer Demokratie wurde sogar verfilmt.

Eine andere bedeutende Frau, mit der ich persönlich vor allem Artikel 38 unserer Verfassung verbinde, ist Hildegard Hamm-Brücher. Als FDP-Mitglied im Bundestag hielt sie am 01. Oktober 1982 ihren Redebeitrag „Ein klares Nein“ während der Debatte über das Konstruktive Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Helmut Schmidt.

Keine zwei Jahre nach der Bundestagswahl brach die FDP ihr Wahlversprechen, die sozialliberale Koalition fortzuführen. Unter Kanzler Helmut Kohl ging sie eine neue Koalition mit der CDU ein.
Ihr „klares Nein“ zur Amtsenthebung Helmut Schmidts begründete sie mit dem Gebot des Artikel 38, Absatz 1 des Grundgesetzes: „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages […] sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“

Dass Hildegard Hamm-Brücher mehr als Artikel 38 des Grundgesetzes gelebt hat, habe ich beim Lesen zwei ihrer Bücher erfahren. Vor allem ihr letztes Buch Und dennoch… (2011) bezieht sich auf ihr politisches Wirken. Autobiografisches floss nur insofern ein, als es ihr zeitgeschichtlich wichtig erschien.
Als Überlebende des nationalsozialistischen Regimes waren ihr Freiheit und die daraus erwachsene Verantwortung für den Aufbau der Demokratie im Nachkriegsdeutschland immer besonders wichtig.
Schon vor der Verabschiedung des Grundgesetzes, mit oben erwähntem Gleichberechtigungsartikel, erhielt Hamm-Brücher 1948 ein Mandat im Münchner Stadtrat. Im Magistrat spielte Parteipolitik gegenüber der kommunalpolitischen Organisation des Mangels eine absolut untergeordnete Rolle. Auch auf Landes- und Bundesebene hatte sie ihr  „demokratisches Politikverständnis nie über [ihre] Parteizugehörigkeit oder das Parlamentsreglement definiert, sondern immer über das Wohl und Wehe unseres immer noch nicht gefestigten freiheitlichen Gemeinwesens.“
In Kapitel 4 erläutert sie genauer die „Bausteine und Baustellen der Demokratie als Staats- und Lebensform“  und die Anwendung oder Umgehung einzelner Artikel unseres Grundgesetzes, beispielsweise bei der deutsch- deutschen Vereinigung.
Mit der FDP hatte Hildegard Hamm-Brücher durch ihr Austrittsgesuch 2002 abgeschlossen. „Liberal zu sein,“ war für sie danach „eher eine parteiübergreifende Allianz – eine Haltung.“

Dies ist eine sehr moderne Einstellung, die die klassische Parteiarbeit infrage stellt. Vor allem junge Menschen beteiligen sich immer weniger parteipolitisch, obgleich sie politisch interessiert oder sogar engagiert sind.

In Und dennoch… stehen Hamm-Brüchers Gedanken zum demokratischen Handeln im Mittelpunkt. Entsprechend staatstragend wirkt bisweilen ihr Sprachstil.

Mehr aus ihrem Leben, gibt sie in ihrem Buch Freiheit ist mehr als ein Wort preis. In dieser Lebensbilanz (Untertitel) widmet sie den ersten Teil biografischen Berichten. Ausführlicher und persönlicher als in Und dennoch… erzählt sie von ihrer Kindheit in einem gutbürgerlichen, aufgeschlossenen christlichen Elternhaus, vom Tod der Eltern und über ihre Jugend bei der „sehr christlichen Großmutter […], die nach den Nürnberger Gesetzen als“ Jüdin galt. Folglich waren Hildegard sowie ihre Geschwister seitdem sogenannte Halbjuden und sie musste wegen ihrer „Abstammung“ Vereine und Schule verlassen.
Wie es Hildegard Brücher schaffte, dennoch Abitur zu machen und die Nazidiktatur zu überstehen, ist interessant zu lesen.

Der zweite Teil beinhaltet Berichte über ihr politisches Denken und Handeln.
Gibt es in den Überschriften beider genannter Bücher zwar Überschneidungen, befasst sich Hamm-Brücher in dem im Original 1996 (Kiepenheuer & Witsch) erschienenen Freiheit ist mehr als ein Wort umfassender mit den Themen Emanzipation, Nation und Geschichte, Auschwitz, Demokratie und dem politischen Liberalismus.

Dafür nimmt in Und dennoch… ihr Engagement für die Bildung als Bürgerrecht (Ralf Dahrendorf) ein eigenes Kapitel ein. Leider bedurfte es erst des schlechten Abschneidens deutscher Schüler im ersten PISA-Test 2002, um Rückstände aufzudecken. Aber statt – die auch von Hamm-Brücher lange geforderten – Schulreformen anzugehen, wurde PISA in Deutschland zur internationalen Leistungsschau, und die Kultusministerkonferenz blieb bei „ihrem abstrusen bürokratischen Machtanspruch“.
Hinzu kommen noch Gedanken zu aktuelleren demokratiepolitischen Defiziten, die in einer „Anregung für eine »Demokratie-Watch«“ münden.

Hildegart Hamm-Brücher verstarb 2016. Sie war eine beeindruckende Persönlichkeit in unserer politischen Landschaft und eine überzeugte Verteidigerin von Freiheit und Demokratie.

Ich könnte mir vorstellen, dass eine neue, das politische Denken und Wirken direkt mit ihrem persönlichen Leben verbindende, in moderner Sprache verfasste Biografie auch jüngere Leser ansprechen könnte. Und ein distanzierter Blick von außen wäre auch interessant.

Hildegard Hamm-Brücher übernahm Verantwortung für Freiheit und Demokratie.

Diese Verantwortung, die Bedeutung und das Gute an unserem Grundgesetz und der Demokratie zu verteidigen und Mängel deutlich anzusprechen, aber nur auf Grundlage unserer Verfassung anzugehen, ist unser aller Aufgabe.

„Menschenwürde“ und „Religionsfreiheit“, die „Unverletzlichkeit der Wohnung“ und dass „Eigentum verpflichtet“, sind im Grundgesetz festgelegt. Auch dass der Klimaschutz dort endlich verankert werden soll, wird diskutiert.
Gerade an den letzten Punkten kann man festmachen, dass die Umsetzung und Einhaltung unserer Grundrechte eine dauerhafte Aufgabe ist und bleibt.

Unser Grundgesetz steht nicht auf den Bestsellerlisten und das muss es auch nicht. Jeder kann es kostenlos bei der Bundeszentrale für politische Bildung bekommen – auf Deutsch, Türkisch oder Arabisch.

Wir alle müssen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung mit Leben füllen. Im Beruf und im Alltag.

Demokratie verteidigen und Erinnern für die Zukunft.

Hildegard Hamm-Brücher: Und dennoch… Nachdenken über Zeitgeschichte – Erinnern für die Zukunft, Siedler 2011, 176 Seiten,
ISBN der gebundenen Ausgabe 978-3-88680-985-1

und

Hildegard Hamm-Brücher: Freiheit ist mehr als ein Wort, Eine Lebensbilanz, dtv 1997, 502 Seiten,
ISBN 3-423-30644-0