Unser Freundeskreis liest und liest und liest. Mit Freunden, Freundinnen oder der Familie verbringt man dann auch gerne anderweitig seine Zeit, weshalb die Muße für schriftliche Ausführungen, die hier einen Beitrag füllen könnten, oft fehlt.
So habe ich für diese Buchvorstellung bei meiner Freundin lange nachhaken müssen, wollte ich doch selbst mehr erfahren als: “bietet interessante Einblicke“.

Silke ist unsere Weltreisende im Freundeskreis. Sie hat schon in der Wüste von Namibia unter freiem Himmel genächtigt oder in Mittelamerika abenteuerliche Bustouren unternommen.
Um sich einzustimmen liest sie natürlich Reiseberichte oder Reiseführer. Vom Berufsalltag der Technischen Zeichnerin abschalten kann sie auch mit einem spannenden Psychothriller oder Unterhaltungsroman, dessen Schauplatz am besten in einem ehemaligen Urlaubsdomizil liegt.
Vom letzten Geburtstag hatte Silke noch einen Gutschein vom örtlichen Buchladen. Drei Bücher nahm sie mit nach Hause; eines davon war Sven Borstelmanns Episodenroman um eine nordhessische Kommune Wenn du das Paradies suchst, geh lieber weiter.
Vielleicht muss man für gute Geschichten ja nicht um die halbe Welt reisen.

Zunächst erzählt uns Borstelmann von Bertram. Sein Vater ist Schuhcreme-Fabrikant, die elterliche Villa steht in Wiesbaden. 1978 im westafrikanischen Mali versucht er bei einem Freiwilligeneinsatz herauszufinden, ob er längere Zeit in einem Dritte-Welt-Land leben kann, ob Entwicklungshilfe sinnvoll ist, ja, wie er überhaupt etwas Sinnvolles tun kann.
Immer mit einem Songzitat eingeleitet, bekommen wir Leser Jahr für Jahr Elke, Arne, Christoph und 1986 Dagmar vorgestellt, und begleiten sie von Gorleben über erste Grüne Wahlerfolge oder die innerdeutsche Grenzöffnung bis hin zur Jahrtausendwende. Sie eint die Suche nach Orientierung und alternativen Lebensformen, die sie Jahre später in einer Kommune im fiktiven nordhessischen Dorf Bunterode zusammenführt.
In seinem Roman beschreibt Sven Borstelmann das Innenleben seiner Protagonisten sowie die Konflikte und Diskussionen, die unweigerlich entstehen, wenn über 50 Menschen eine gemeinsame Kasse haben, alles und jedes einstimmig entschieden wird oder Frauen und Männer wirklich gleichberechtigt zusammenleben sollen. Und im Gegensatz zu anderen Lebensgemeinschaften, wie etwa der Kleinfamilie, müssen diese Debatten und Ergebnisse in den Versammlungen auch noch protokolliert werden.

Um nun also genauer zu erfahren, warum Silke zu diesem Buch gegriffen und welche Eindrücke es bei ihr hinterlassen hat, habe ich ihr ein paar Fragen gestellt.

Andrea: Aus welcher Motivation heraus hast du ausgerechnet dieses Buch gekauft?
Silke: Ich habe es beim Stöbern im ortsansässigen Buchladen „Terra Cotta“ entdeckt, wo ich mich mit Urlaubslektüre eindecken wollte.
Auslöser es zu kaufen war vor allem Neugier auf die alternative Lebensweise einer Kommune, zumal es so eine in meiner Heimatgemeinde schon seit Jahrzehnten gibt und mir bisher der Bezug dazu fehlte.

Die Kommune im nordhessischen Niederkaufungen wurde schon mehrmals in überregionalen Medien wie der taz oder 2017 mit einer großen Reportage in der Zeit thematisiert. Hattest du daraus oder aus Beiträgen in Publikationen der Gemeinde Vorinformationen zu gemeinschaftlichen Lebensformen?
Ich hatte vorher keine Berührungspunkte mit einer, beziehungsweise der Kommune.

Was an dem Buch hat dir gefallen?
Das Buch hat seinen Schwerpunkt in den Lebensgeschichten der Menschen, die eine der ersten Kommunen in Nordhessen gründen. Die Wege, die die Kommunarden und Kommunardinnen dorthin führen sind sehr unterschiedlich und werden über Jahre geschildert.
Prinzipiell verbindet jedoch alle das Streben nach einem gleichberechtigten, umweltbewussten Lebensstil und ähnliche Wertvorstellungen. Manche suchen auch eine Art Ersatzfamilie in der Lebensgemeinschaft. Ich fand es sehr spannend, Einblicke zu bekommen. Das Buch war leicht zu lesen und hat mich gefesselt.

Wie ist nun dein Fazit, welchen Gesamteindruck hattest du von Wenn du das Paradies suchst, geh lieber weiter“?
Obwohl es sich um eine fiktive Kommune handelt, die dort beschrieben wird, kann ich mir gut vorstellen, dass dort auch viele Erfahrungen des Autors eingeflossen sind, hat er doch selbst viele Jahre in einer Kommune gelebt. Die Lebensgeschichten der beschriebenen Personen haben mich sehr berührt. Ich konnte mit ihnen viele Höhen und Tiefen erleben.

Für meinen Geschmack ein sehr lesenswertes Buch.

Nach den Eindrücken, die ich durch das Buch gewonnen habe, kann ich mir allerdings nicht vorstellen, in einer solchen Lebensgemeinschaft zu leben. Obwohl ich mich nicht für einen materialistisch eingestellten Menschen halte, ist es für mich unvorstellbar, ohne Eigentum zu leben. Außerdem hätte ich ein Problem damit, meine persönliche Entscheidungsfreiheit durch die Tatsache, dass in der Kommune selbst alltägliche Dinge immer im Konsens entschieden werden müssen, einschränken zu lassen.

Die Geschichten um Bertram & Co scheinen also auch zum Nachdenken über die eigene Lebensform anzuregen. 

Inzwischen konnte ich mir auch einen eigenen Eindruck von Wenn du das Paradies suchst, geh lieber weiter verschaffen.

Zuerst fällt auf, dass der Drucksatz nicht ganz lesefreundlich gestaltet ist.
Mit je 83 Zeichen geraten die 40 Zeilen jeder Seite sehr lang. 384 Seiten und ein schön gestaltetes Cover ergeben aber viel Buch für 15 Euro. (Tobi von Lesestunden hat sich mit dem Thema Buch pro Euro in einem unterhaltsamen und kontrovers kommentierten Beitrag befasst.)

Nach einer etwas blassen Einführung der Charaktere liest es sich aber ganz passabel, auch wenn man etwa durch die Teilnahme an Hoffesten oder durch persönliche Kontakte schon einen Einblick ins Kommune-Leben gewonnen hat. Allerdings dürfen sich die Leser*innen nicht durch ein konsequent genutztes Binnen-I stören lassen, das meinen Lesefluss eingeschränkt hat und für mich persönlich nicht in einen Roman gehört. Auf jeden Fall unterstreicht es die Haltung des Autors.

Das Leben in der Kommune ist für die Beteiligten aus unterschiedlichen Gründen eine ernste Sache. In den Dialogen zeigt sich aber auch, dass sie den Humor nicht verlieren. So etwa bei der Entscheidung darüber, wie mit den der Kommune zugutegekommenen Spendengeldern umzugehen ist:
» „Ich habe die Lösung“, rief Oskar. „Wir spenden genau die Summe, die wir als Spenden erhalten, an eine sich gerade gründende links-ökologische nicaraguanische Frauenkommune mit einem Ableger in Nordhessen.“«
Ja, irgendwie muss man ja einen Konsens finden.

Erfrischend schräg sind die Szenen eines Redaktionstreffens der Leben in Gemeinschaft, für die Arne schreibt. Herausgeber Werner hat immer noch nicht seine für ihn richtige Gruppe gefunden und lebt mal in dieser und mal in jener Lebensgemeinschaft. Um den etwas geheimnisumwitterten Stamm Cambodonum in Kempten kennenzulernen, statten sie ihm einen Besuch ab. Der lebt dort aber nicht in Zelten, sondern in einer eher herrschaftlichen Villa. Es gibt verschiedene Zirkel, wie Die Verschworenen, Die Aspiranten und den äußeren Kreis, der Das Fußvolk genannt wird und gerne an den Vollmondtreffen teilnimmt.
Mit einem Grinsen frage ich mich beim Lesen, welche Vorbilder aus dem echten Leben dafür Pate standen.

Mein persönliches Fazit: Sven Borstelmann hat uns mit Wenn du das Paradies suchst, geh lieber weiter sprachlich keinen literarischen Leckerbissen serviert, aber eine gute Portion Kommunen-Kost.

Sven Borstelmann: Wenn du das Paradies suchst, geh lieber weiter,
Eigenverlag 2017,
ISBN der großformatigen, kartonierten Ausgabe 978-3-00-057889-2

Sven Borstelmann arbeitet als niedergelassener Psychotherapeut in Kassel und hat von 1988 bis 2001 in der Kommune Niederkaufungen gelebt. Wenn du das Paradies suchst, geh lieber weiter ist sein erster Roman.