Weil ich es mir nicht erlauben kann und will, den Samstagmorgen im Bett zu verbringen, habe ich das Interview von Tobias Haberl mit der Piper Verlegerin Felicitas von Lovenberg in der Wochenendausgabe (05./06.01.2019, S. 52) der Süddeutschen Zeitung (hier im Folgenden kurz SZ, auch bezahlt, aber Papierausgabe) erst am Sonntagnachmittag gelesen.
Und auch mir stellten sich natürlich beim Lesen einige Fragen, wie wohl auch Tilman Winterling von 54 Books, die er dann sogleich am Sonntag auf 54 Books veröffentlicht hat. Nicht ohne darauf aufmerksam zu machen, dass er „immer ein bisschen Angst“ hat, seine Aufregung darüber „öffentlich zu machen“.
Nun scheint mir aber genau dieses Interview exemplarisch für die momentane Situation im Literaturbetrieb und in weiten Teilen des Journalismus: Aufmerksamkeitsökonomie (Georg Franck, Hanser) um Klicks, Auflage und Reichweite, gepaart mit der Neigung zur Selbstgefälligkeit etablierter Medien und einer damit einhergehenden Entfernung vom lesenden Publikum, stehen im Mittelpunkt.

Und von Lovenbergs Publikation Gebrauchsanweisung fürs Lesen ist in diesem Zusammenhang für mich persönlich auch eher kontraproduktiv. Wer will sich schon erklären lassen (wie der Titel impliziert), wie er zu lesen hat. In einem Deutschlandfunk Interview bekommt von Lovenberg die Gelegenheit, differenzierter für das Lesen, ihr Buch und ihren Verlag zu werben.

Die Interviewfragen von Tobias Haberl an Felicitas von Lovenberg  in der SZ wirken auf mich eher so, als sollten sie eine Frau mit Namenszusatz von, die in Bristol und Oxford studiert hat, als ausschließlich priviligiert bloßstellen. Zugegeben, dieser Gedanke kam mir gerade beim Schreiben und ich muss dem auf den Grund gehen, warum er mir kam. Wahrscheinlich, weil ich erst mal sehen wollte, wer Tobias Haberl eigentlich ist. Und die Vorschauen auf Google (auch so ein Problem der Medienbranche und des Literaturbetriebs) stellten mir einen Mann vor, der bei Random House, der ZEIT und natürlich in der SZ publiziert und Mails von verstorbenen Größen des Kulturbetriebs wie Christoph Schlingensief oder Roger Willemsen in seinem Postfach hatte.

Seine erste Frage an von Lovenberg bezieht sich auf eine Aussage der gerne zitierten Hannah Arendt aus einem Interview von 1964. Leider vermisse ich die Quelle, wo die Leser/innen dieses Interview vielleicht auch noch mal vollständig nachlesen könnten.

Etwas später stellt er die Frage:
Warum haben es Frauen in der Buchbranche leichter als in der Politik oder einem Dax-Konzern?
Meine Gegenfrage: Haben sie das tatsächlich? Bekommen Frauen in der Buchbranche die gleichen Gehälter wie Männer? Gibt es genauso viele Frauen in Führungspositionen? Wie sieht es bei den Autorinnen aus?
Frau von Lovenbergs Antwort ([in der Buchbranche…] tun wir Verlagsleute alles, um nicht uns selbst, sondern unsere Autorinnen und Autoren ins Schaufenster zu stellen.) animiert Haberl allerdings zu seiner nächsten Frage:
Wollen Sie sagen, dass Frauen besser dienen können als Männer?
Darauf erhält er ein Nein von Felicitas von Lovenberg, mit dem Hinweis auf das größere Einfühlungsvermögen lesender Frauen und Männer.

Später im Interview (nach dem von Tilman Winterling in seinem Blogbeitrag aufgegriffenen Interviewteil über Sexismus im Literaturbetrieb und privilegiert zu sein) stellt Tobias Haberl die Frage:
Wie wichtig sind Abgründe im Leben?
von Lovenbergs Antwort:

Eine ziemlich männliche Frage! Sehr wichtig, aber ich glaube, für Männer mehr als für Frauen. Haberl: Warum?
Weil man sich in seinen Abgründen so wunderbar gefallen kann.

Für Tilman Winterling taten sich beim Lesen des Interviews anscheinend Abgründe auf, sonst hätte er seinen Blogbeitrag wohl nicht mit dieser Überschrift versehen. Sollte Felicitas von Lovenberg mit ihrer Antwort richtig liegen?

Abschließend stelle ich mir auch noch Fragen, die Aufregung reduzieren und gegenseitiges Verstehen fördern könnten.

Wie privilegiert ist Tobias Haberl, der auch in Großbritannien studiert hat (Google)? Wurde ihm als Mann schon mal diese Frage gestellt?

Und wer definiert privilegiert wie?

Wer hat das Interview mit dem Thema ÜBER MÄNNER angeregt?

Gibt es eine für andere angemessene – aus deren Sicht einzig richtige – Reaktion von Menschen, die von Sexismus betroffen sind, egal in welchem Lebensbereich?

Eine Empfehlung für alle wäre

Hannah Arendt: Ich will verstehen, Piper Verlag,

(vielleicht nochmal) zu lesen. Dort findet sich auch das erwähnte Interview von 1964 (immerhin 54 Jahre her) mit Günter Gaus.